Umgang mit Hass im Netz auf journalistischer Ebene

Wie auch bei den verschiedenen Unternehmen (siehe wirtschaftliche Ebene), geht im journalistischen Bereich jedes Medium unterschiedlich mit Anfeindungen um. Es gibt nicht den einen Königsweg; unterschiedliche Methoden und Herangehensweisen werden ausprobiert, gegebenenfalls angepasst und manchmal auch vermischt. So sperren einige Onlinezeitungen die Kommentarfunktion für Themen, bei denen viele Troll-/Haterkommentare erwartet werden, moderieren aber die restlichen Kommentare ihrer Artikel.

7 mögliche Ansätze für den Umgang mit Trollen und Hatern auf journalistischer Ebene[1]

1. Ausschließen, Hürden für Trolle und Hater bauen

Die erste Strategie versucht, Trolle im Vorhinein erst gar nicht anzulocken und Störer_innen aus den Diskussionen auszuschließen. Bei dem Onlinemagazin „Krautreporter“ können zum Beispiel nur registrierte Mitglieder, die einen monatlichen Beitrag zahlen, kommentieren und die Diskussionen mitverfolgen. Die Hoffnung ist, dass Trollen diese Hürde zu hoch ist und sie auf leichter und kostenlos erreichbare Seiten ausweichen. Die Trolldrossel setzt an einem ähnlichen Punkt an.

Ein Nachteil dabei kann allerdings sein, dass im geschlossenen Forum weniger kommentiert wird und dadurch wertvolle Impulse verloren gehen können. Auch kann nicht verhindert werden, dass Diskussionen auf anderen Portalen geführt werden. Artikel können beispielsweise in einer rechten Gruppe bei Facebook geteilt werden und Hasskommentare ernten, obwohl es auf der urspünglichen Seite keine freigeschaltete Kommentarfunktion gibt oder es die Hürde einer Anmeldung oder Bezahlung gibt.

Die Kommentarspalten schließen und andere Foren für den Austausch bereitstellen

Als eine weitere Variation des Ausschlusses von Trollen kann es sein, die Kommentarfunktion zu deaktivieren und andere Foren für den Austausch aufzubauen. Die NZZ (Neue Züricher Zeitung) hat seit Februar 2017 die Kommentarfunktion für die meisten Artikel geschlossen und dafür neue Diskussionsräume eröffnet.[2] Jeden Tag gibt es drei moderierte Diskussionen und zusätzlich soll einmal in der Woche ein_e Autor_in sich mit den Leser_innen in einer Diskussion zu einem Thema der Zeitung austauschen. Die klassische Kommentarspalte soll somit zu einem Leser_innenforum umgebaut werden. Damit erhofft sich die Zeitung weiterhin regen Austausch und Impulse, ohne undurchdachte Troll- oder Haterkommentare. Die NZZ schreibt dazu:

Was ist schiefgelaufen? [...] Die Antwort liegt darin, wie Kommentarspalten funktionieren – und wie nicht. Wer eine leere Wand errichtet, sollte sich über Graffiti nicht wundern. Und wer auf das Graffiti nicht reagiert, sollte sich nicht wundern, wenn die Kritzeleien überhandnehmen. Das Gefäss bestimmt den Inhalt, nicht umgekehrt. [...] Wir übertünchen die Wand. Und hoffen auf richtig gutes Graffiti.[3] Fuchs (2017)

2. Ignorieren

Die „Don't feed the Troll“-Strategie wurde auf der Seite hier schon öfter thematisiert. Der erhoffte Vorteil liegt darin, dass Trolle, die aus „Freude am Effekt“[4] bestehen, wenn keine Resonanz kommt, den Spaß verlieren und weiterziehen.

Mögen nach fehlender Reaktion wirklich ein paar Trolle gelangweilt weiterziehen, kann man Hatern durch ein Ignorieren allerdings nicht beikommen. Ihnen müssen Grenzen klar aufgezeigt werden. Ignorieren ist eine Form des Tolerierens und kann Aggressoren in ihrem Handeln bestärken. Das kann dazu führen, dass sich einzelne Angegriffene aus der Situation zurückziehen und das Diskussionsklima verroht. Außerdem ist eine thematische Diskussion nicht möglich und der Eindruck für passive Lesende stellt sich stark verzerrt dar. Es ist also ein möglicher Weg, aber der denkbar schlechteste.

3. Moderieren

Eine gute Moderation versucht genau das zu verhindern. Nicht die Lautesten sollen am meisten Gehör finden, sondern es sollen „Räume für eine plurale Debatte und echten Austausch“[5] geschaffen werden. Der Nachteil ist, dass das Verfahren aufwendig und kostenintensiv ist. Auch wird die Position des Moderierenden oft angezweifelt und kritisiert, vor allem, wenn eine Person oder ein Beitrag von ihr nicht zugelassen oder gelöscht wird („Zensur“-Vorwürfe). Teilweise tut sich die Netzkultur mit ihren anarchischen Wurzeln schwer damit, Entscheidungsmacht an eine Moderation abzugeben, die bestimmen darf, welche Beiträge legitim sind und welche nicht. Jedoch werden vermehrt Stimmen laut, die erleichtert sind, wenn Debatten moderiert werden und damit einen inhaltlichen Austausch überhaupt erst ermöglichen.

4. Diskutieren

Sich mit allen Kommentaren auseinanderzusetzen, kann zwar viel Zeit, Geld und Nerven kosten, aber vor allem diejenigen, die an einer wirklichen Diskussion und einem thematischen Austausch interessiert sind, profitieren davon. Oft bekommen Medien durch wertvolle Kommentare neue Impulse für Artikel oder Themen, die sie weiter verfolgen wollen oder können die Artikel durch konstruktive Kritik verbessern und schaffen eine größere Nähe zu ihrer Leser_innenschaft.

Auch haben die Journalist_innen die Möglichkeit, Fakten zur Untermauerung ihrer Thesen zu liefern und Trollkommentare wie wilde Weltverschwörungstheorien nicht einfach im Raum stehen zu lassen, sondern argumentativ darauf einzugehen. Damit geben sie auch anderen Menschen, die solchen Kommentaren ausgeliefert sind, Argumente an die Hand, die sie in eigenen Diskussionen nutzen können.

5. Ironisieren

Auch auf individueller, vor allem aber auf journalistischer Ebene, ist das „Zurücktrollen“ eine oft gesehene Methode. Der Vorteil ist, dass Zensur-Vorwürfe nicht aufkommen können, da alle Kommentare stehen gelassen werden.

Es wird auf gleicher Ebene geantwortet. DIE WELT konterte zum Beispiel auf den Kommentar: „Die Welt, nennt euch lieber ‚Die Lüge‘“ mit: „Klar. Aber nur, wenn du dich ‚Der Vollhorst‘ nennst.“[6] Auch die Tagesschau oder der Facebookauftritt der Bundesregierung greifen zu diesem Mittel. Bei völlig verschrobenen Trollkommentaren kann ein inhaltliches Diskutieren manchmal nicht möglich sein, Jounalist_innen könnten „Haltung beweisen und gleichzeitig die Absurdität einiger Diskussionsbeiträge aufzeigen“[7] und Schwere nehmen.

Eine humoristische Art des Umgangs ist ein Ventil und kann Situationen entspannen. Allerdings können sich Fronten, wenn sich die Trolle/Hater nun selbst aufgezogen fühlen, auch weiter verhärten. Auch findet kein thematischer Austausch statt, eine inhaltliche Diskussion wird nicht befördert.

6. Sich empört zeigen durch Wiedergabe

Es gibt Youtuber_innen, die Hasskommentare, die sie erreicht haben, vorlesen oder singen, Lesungen, bei denen die wüsten Beschimpfungen in stoischer Gleichmäßigkeit vorgetragen werden, Hate Slams freuen sich reger Beliebtheit. Die BILD lichtete im Oktober 2015 nach der Vielzahl von Anfeindungen gegen Geflüchtlinge auf einer Doppelseite verstörende Kommentare ab (sog. „Pranger der Schande“). Selbst bei der Süddeutschen Zeitung (!) gibt es eine Videorubrik, in der Prominente in gediegener Atmosphäre die schlimmsten Hasskommentare gegen sie vortragen und kommentieren.[8]

Bei Vorträgen über Hate Speech werden die extremsten Aussagen zum Besten gegeben. Kein Medienbeitrag, kein Vortrag scheint ohne die Widergabe von abstoßenden Kommentaren auszukommen.

Lachen über Hass?

Unterstützer_innen dieser Reaktionsform meinen, es sei emanzipativ, sich die Anfeindungen selbst anzueignen und unterstreichen, dass diese Form die Absurdität der Angriffe aufzeigen kann.

Ich sehe diese Art des Umgangs hingegen kritisch. Zum einen werden Gewaltandrohungen und Beleidigungen lächerlich gemacht und nicht ernst genommen. Die Frage, wo der Spaß über die Anfeindungen aufhört (bei einer Vergewaltigungsandrohung? Bei einer Todesdrohung?) und eine ernstzunehmende Grenze überschritten wurde, wird jede Person unterschiedlich beantworten.

Dass sich unterschiedliche Medien bei der Präsentation von Hate Speech gegenseitig übertrumpfen wollen, führt eher zu einer weiteren Anstachelung der Hater und Trolle, die nun über eine große Bühne verfügen und mit extremen Aussagen viel Aufmerksamkeit und Prominenz ernten können.

Gewaltandrohungen und Hass werden so zu einer Lachnummer und zu einem Mittel zum Zweck, interessierte Zuhörer_innen zu erlangen, ohne viel Arbeit in aufwendige Recherchen zu stecken. Hasskommentare kommen bequem von allein ins Haus geflattert und sie müssen nur noch einmal in einem anderen Setting wiedergegeben werden.

Dabei gibt die pure Wiedergabe (auch sei sie noch so ironisch betont oder gemeint) die Hetze nur weiter: Das erneute Aussprechen der Anfeindungen macht Dinge sagbar, kommt in Köpfe und malt ihre eigenen Bilder. Die Gefahr bei einer Übernahme der Begriffe durch eine unkommentierte Wiederholung liegt darin, Hass gesellschaftsfähig zu machen und normalisiert extreme Aussagen. Keine Widerwärtigkeit, nichts bleibt unsag- oder undenkbar. Anhänger_innen extremer Positionen sehen, dass sie nicht alleine so denken und können sich bestätigt fühlen.

Es gibt einen Unterschied dazwischen, ein Beispiel für Anfeindungen anzuführen, um die Dimension eines Angriffs aufzuzeigen und mit einer Analyse zu versehen, und der puren Wiedergabe von Hate Speech. Der Erkenntnisgewinn bei einer bloßen Wiedergabe ist nicht vorhanden, es findet lediglich erneut die Tabuüberschreitung, die schon bei der ursprünglichen Aussage der direkten Hate Speech der Fall war, statt. Auch wenn die Wiedergabe ironisch gemeint und nicht unterstützend sein soll, verhindert das die beschriebene Wirkung nicht.

Perfiderweise wird mit den Anfeindungen dabei von den Verbreitungsmedien zudem noch Geld verdient. Die BILD, auch Youtuber_innen (die Reichweite generieren wollen) und weitere sind Medien, die mit den „Beiträgen“ über Hate Speech Geld und Aufmerksamkeit erlangen. Wer trotzdem den Weg der Wiedergabe von Hate Speech gehen möchte, dabei aber kein Geld daraus ziehen will, kann beispielsweise die politischen Aktivist_innen von „hatr.org“ oder „Rechts gegen Rechts“ unterstützen.

7. Direkten Austausch suchen: Sag's mir ins Gesicht

Einen neuen, innovativen und mutigen Weg ist die Tagesschau mit dem Format „Sag's mir ins Gesicht gegangen.[9] Ende Mai 2017 an drei aufeinanderfolgenden Tagen haben sich Anja Reschke, Kai Gniffke und Isabel Schayani in einem Live-Dialog je eine Stunde ihren Hatern gestellt.

Kai Gniffke, Anja Reschke und Isabel Schayani stellten sich bei der Aktion „Sag's mir ins Gesicht“ den Hatern. Bildquelle: www.sags-mir-ins-gesicht.de

Per Skype hatten Zuschauer_innen die Möglichkeit mit je einer_m der Dreien ins Gespräch zu kommen, welches dann live bei Facebook Live übertragen wurde. Da man über Skype keinen direkten Augenkontakt herstellen kann (da man entweder in die Kamera schaut, oder auf das Bild der Person mit der man spricht) und keine direkte Begegnung hat, war meine Befürchtung, dass ebenso hart gehasst wird wie online.

Trotzdem konnte das Format mit direkter Resonanz des Gegenübers und dem Scheinwerfer der Öffentlichkeit anscheinend eine Wirkung auf das Verhalten der Angreifer_innen erzielen. Denn überraschenderweise waren die Anrufer_innen (es waren fast ausschließlich Männer, die sich gemeldet haben) viel gemäßigter als erwartet. Die Enthemmung und der Hass, die sonst über Social Media sichtbar ist, war nicht vorhanden.

 

Bei dem „Pranger der Schande“, die durch Innenminister Thomas de Maizière mit einem Gastkommentar unterstützt wurde, veröffentlichte die Bildzeitung extreme Hasskommentare, die bei Facebook geäußert wurden, inklusive Profilbild und Klarnamen der Angreifer_innen.